Vielleicht mache ich mir keine Freu(n)de mit diesem etwas längeren Beitrag – aber die Debatte innerhalb der Landwirtschaft und die EU-weiten Proteste regen zum Nachdenken an. Mit Sicherheit hat der anhaltende Widerstand etwas bewirkt – aber war das alles wirklich auch zu unser aller Wohl?
Bloß nicht zu viel Ökolandbau!
Der Verband der Familienbetriebe Land und Forst kritisierte: Sollte das Europäische Parlament den Empfehlungen des Umweltausschusses folgen, bedeute das ein Verbot für alle chemisch-synthetischen Pflanzenschutzmittel, die nicht der Low-Risk-Klassifizierung angehören. In den betroffenen Gebieten komme das einem Berufs- und Produktionsverbot gleich.
Im Agrarausschuss hieß es im Herbst 2023: Totalverbote in Schutzgebieten seien quasi wie die Zwangsumstellung vieler Landwirtschaftsbetriebe auf Ökolandbau. Es wäre wie ein faktisches Berufsverbot vieler Landwirte.
Wenn ich diese Äußerungen als Laie richtig verstehe, bedeutet das für mich als Verbraucher: Ich muss weiterhin Agrarprodukte zu mir nehmen, die mit High-Risk-klassifizierten chemischen Pflanzen”schutz”mitteln behandelt wurden, nur weil sonst die meisten Betriebe schließen müssten. 🤔🤨
Fragt man die Bauern, so sind sich die meisten einig: Wir wollen mehr Planungssicherheit!
Die Landwirtschaft bzw. der Anbau hat sich massiv verändert – es ist ein regelrechtes Business geworden! Dieser Eindruck hat sich mir aufgedrängt nachdem ich zahlreiche Sprecher der Branche während ihrer Protestaktionen gehört habe. Auch sie wurden in den “globalen Sog” hineingezogen.
Der Handel mit Getreide, Raps oder Mais boomt. Wusstet ihr, dass Deutschlands Getreideimporte aus der Ukraine in 2022 um 59 % gestiegen sind? Auch der Mais-Import aus diesem Kriegsland hat sich verdoppelt. Führend bei Weizen-Exporten sei wohl nach wie vor Russland. Ja ja, was man so alles erfährt wenn man sich mit den Bauernprotesten näher beschäftigt hat….
Im Endeffekt sind unsere Landwirte der Marktverzerrung durch globalen Handel mittlerweile genauso ausgeliefert wie andere Branchen auch. Sie profitierten selbst von dieser Entwicklung und den daraus resultierenden Gewinnen.
Derjenige, der aber immer drauf zahlt, ist der Verbraucher selbst. Sei es für teure Bio-Produkte oder gestiegene Lebensmittelpreise – trotz bisheriger Subventionen in der Landwirtschaft oder günstigeren Importen! Irgendwie wird’s einfach nie billiger bei den Lebensmitteln. Komisch, oder?
Was ich an dem ganzen Hin- und Hergekarre von Lebens- und Futtermitteln durch die halbe Welt nicht gut finde, ist, dass ich als Konsument ja gar nicht weiß, aus welchem Land das Getreide kam, mit dem mein Brötchen gebacken wurde oder das Tier gefüttert wurde, das da vor mir auf dem Teller liegt. Das weiß ich auch nicht, wenn ich im teuren Bio-Laden einkaufe. Lediglich auf einem Bio-Bauernhof ist diese Transparenz noch gegeben, denke ich.
Oder anders gesagt:
Solange wir als Konsument nicht hinterfragen und weiterhin alles kaufen, was uns angeboten wird – verändert sich nichts zum Besseren.
Die Getreidepreise bestimmen die Börsen – nicht die Verbraucher
Es sind die weltweiten Marktpreise, die die Planungssicherheit in der Agrarbranche wackeln lassen. Die Landwirte mutieren zu Handlangern von Börsenspielen; sie müssen sich immer über fallende oder steigende Entwicklungen am Markt informieren bevor sie ihr Feld bewirtschaften. Der Preis bestimmt schließlich welche Getreidesorte der Bauer dieses Jahr ansäen möchte – in der Hoffnung, dass der Ertrag hoch ist und die Handels- und Abnahmepreise ebenfalls zur Erntezeit. Das ist das wirtschaftliche Risiko eines Landwirtes heutzutage, neben dem Wetter.
Den Ertragsausfall korrigieren sie bisher durch den Einsatz der chemischen Spritzmittel – und das möchten sie auch einstimmig so weiterbehalten. Wie gut, dass das Ausbringen von Glyphosat weitere 10 Jahre (bis 2033) erlaubt wurde – denn der eigene, betriebswirtschaftliche Gewinn soll ja auch gewährleistet sein.
Na, Gott sei Dank! Dann ist die Menschheit ja gerettet. Zumindest vor dem Hungertod, ginge es nach der Auffassung der Befürworter. Sterben müssen wir schließlich alle mal, ob mit ein bisschen mehr Glyphosat ist doch dann auch schon wurscht!
Ich habe also berechtigte Zweifel an den Zielen der Bauernproteste, wenn ich lese, wie sich Landwirte, Bauern und Weinbauern freuen, dass sie alle weiterhin chemische Pflanzenschutzmittel verwenden können.
Laut Verordnung sollten aber 10 Prozent als Biodiversitätsfläche ausgewiesen werden, auf der keine Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden dürfen. Das stößt den meisten Landwirten übel auf, denn es wäre fernab von jeglicher Realität und Unfug. So hörte man es immer wieder in Interviews mit den Protestierenden. Über die Sinnhaftigkeit hätte vorher diskutiert werden müssen, aber eine Reduktion von Pestiziden/Herbiziden im konventionellen Anbau, darf nicht aus Profit-Interesse einfach abgetan werden.
Schutzgebiete ohne Chemiekeule? Das geht den lieben Bauern- und Winzerverbänden zu weit. Es müsste doch andere Wege geben als über ein EU-Verbot….
In einem Artikel des Agrarpresseportal heißt es deshalb am 06.02.24:
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen hat heute im Plenum des Europäischen Parlaments öffentlich angekündigt, dass sie den Vorschlag für eine neue EU-Pflanzenschutzmittelverordnung (SUR) zurückzieht. Die rheinland-pfälzische Landwirtschaftsministerin Daniela Schmitt hat diese Ankündigung begrüßt und die Daueraufgabe bekräftigt, den Integrierten Pflanzenschutz (IPS) weiterzuentwickeln.
https://www.agrar-presseportal.de/landwirtschaft/agrarpolitik/schmitt-begruesst-endgueltiges-aus-der-eu-pflanzenschutzmittelverordnung-sur–38784.html
Apropos: Es gab im Jahr 2021 etwa 950 Mittel (ohne ruhende Zulassungen) innerhalb der EU zum freien Verkauf. Zweifellos ein lukratives Geschäft der Hersteller!
Wusstet ihr, dass in diesen Pflanzenschutzmitteln insgesamt 281 Wirkstoffe eingesetzt werden? (Zahl zugelassener Pflanzenschutzmittel und Wirkstoffe). Details hier
Integrierter Pflanzenschutz (IPS) sei die bessere Wahl
Also das ist die neue Zukunft in unserer Heimat, geht es nach denen, die alles besser wissen wollen. Unsere Pflanzenwelt ist schon jetzt nicht mehr das, was sie vor 30 Jahren mal war. Ich erinnere mich, als ich in meiner Jugend von den politischen Plänen hörte, nun genmanipulierten Mais und Soja anzubauen. Da war die Skepsis und der Widerstand in Bayern noch groß. Heute spricht da niemand mehr davon. Und genauso geht es weiter. Die Pflanze wird nun so gezüchtet, dass sie selbst das Biozid produziert und die Schädlinge quasi auf dem Blatt tot umfallen. Genial, oder?
Auch in Rheinland-Pfalz begrüßte die Landwirtschaftsministerin die Entscheidung von Frau von der Leyen:
„Um die Zukunft der Landwirtschaft zu sichern, müssen wir ökonomische, soziale und ökologische Nachhaltigkeit durch innovative Bewirtschaftungsmethoden wie Digital Farming und Precision Farming in Einklang bringen“, sagte Schmitt. „Der Integrierte Pflanzenschutz spielt dabei eine wichtige Rolle.“
https://www.agrar-presseportal.de/landwirtschaft/agrarpolitik/schmitt-begruesst-endgueltiges-aus-der-eu-pflanzenschutzmittelverordnung-sur–38784.html
Erleichterung auch beim fränkischen Weinbauverband. Denn wäre die EU-Verordnung so gekommen wie geplant, wäre ein Drittel der bisherigen Anbaufläche weggefallen – meinte der Verband.
Ein Verbot sei nicht der richtige Weg: Immerhin würden schon etwa die Hälfte der Rebflächen ohne Herbizide auskommen, hieß es weiter. Auch bei den fränkischen Winzern setzt man beispielsweise auf Rebsorten, die gegen bestimmte Krankheiten von vorneherein resistent sind.
Ist das nicht geschickt und verbrauchergerecht formuliert?
Just am selben Tag des o.g. Artikel, meldete ein anderes Medienblatt, dass die Union quasi eine Rücknahme der geplanten Steuererhöhung beim Agrardiesel erzwingen möchte. So wolle sie ihre Zustimmung zum sogenannten Wachstumschancengesetz im Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat nur abgeben, wenn die geplante Steuererhöhung zurückgenommen werde. Taktisch klug, vielleicht um die restlichen CDU-Wähler wieder einzufangen? Denn wohl die meisten im bäuerlichen Raum gelten als CDU-nahe Bürgerstimmen.
Na dann ist doch eigentlich alles wieder in Butter! Ja, und die Pläne zur Besteuerung der Landmaschinen wurden schon Anfang des Jahres seitens der deutschen Politik verworfen! Ein voller Erfolg für die starken Proteste, würde ich sagen. Ob es ein Erfolg für uns alle war oder ob die Millionen dann einfach woanders abgezapft werden, wird sich zeigen.
Auch wenn ich die allgemeine “Siegesstimmung” etwas kritischer sehe… Ich denke, solange dieselben Akteure in der Politik weitermachen sind es lediglich kurzfristige Etappensiege im Wettkampf Volk gegen Staat.
Also liebe Landwirte, ihr könnt eure Proteste beenden – ihr habt diesen Kampf zunächst ‘gewonnen’ 🏆