Geht’s uns heutzutage wirklich so schlecht? Ein Blick ins Mittelalter zum Pfeiferhänsle…

Der Mensch scheint vollständig ver-rückt zu sein – das ist mein Eindruck, wenn ich mir ein paar Szenen aus Berlin von heute ansehe. Ich musste auch abschalten, denn es war für mich nicht mehr verhältnismäßig wie aggressiv die Bürger/innen teils auftreten. Auf kreischende Frauen reagiere ich sowieso allergisch – außer sie sind gerade im Kreißsaal ; ) Suchen wir nur nach einem oder mehreren ‘Schuldigen’ im Außen, und DIE darf man dann anbrüllen? Angestauter Frust gepaart mit Wut und innerer Anspannung entlädt sich heute und sicherlich auch Morgen noch in mancher Stadt.

Vielleicht muss es so sein, ich weiß es nicht. Vielleicht war das auch der Grund, warum ich nicht zum 01.08.21 nach Berlin sollte/durfte. Dabei wäre ich so gerne hingefahren.

Dennoch frage ich mich: Geht es uns allen wirklich sooo schlecht, dass wir immer gleich aufschreien müssen und voller Hass mit dem Finger auf jemanden zeigen müssen? Ein Gegenüber provozieren, bis das Ganze doch wieder in Gewalt eskaliert? Nein, es ist nicht schön was sich die Staatsgewalt oder Polizeibehörden heutzutage herausnehmen. Und vieles muss aufgeklärt werden bzw. die Verantwortlichen zur Rechenschaft gezogen werden – insofern es in Zukunft noch einen Rechtsstaat geben wird in unserem Land…..

Es gab Zeiten, da wurde so mancher Adeliger oder Gutsbesitzer von den Dorfbewohnern zu Tode geprügelt – als sie die Gelegenheit dazu bekamen. Was bin ich froh, nicht mehr im Mittelalter zu leben! Ich wäre nicht sehr alt geworden und als Hexe verbrannt, gesteinigt oder ertränkt worden mit meinen roten Haaren. Und vielleicht war es auch kein Zufall, dass ich heute in das Mittelalter eintreten durfte – auf meiner Radtour im “lieblichen Taubertal”. Ein klitzekleines Örtchen zog meine Aufmerksamkeit an, denn am Ortseingang gab es ein Abbild vom ‘Pfeifer von Niklashausen”. Es ist eine Geschichte aus 1476 n. Chr. und handelt von einem jungen Hirten, der sich für das kleine Volk einsetzte und den Adel tadelte. Er forderte gleichen Besitz für alle, Verweigerung von Frondienst, Zoll und Zehnten, freie Jagd und freien Fischfang für jedermann – nach der Erzählung. Es heißt, im Laufe von mehreren Wochen sollen bis zu 70.000 Wallfahrer in den kleinen Ort NIKLASHAUSEN im Taubertal gepilgert sein, um ihn zu hören.

Bildquelle: http://www.niklashausen.de/pfeifer/

Warum erzähle ich diese Geschichte heute? Ich finde es gibt große Parallelen zur heutigen Zeit. Das Volk ist im Aufstand gegen die Herrschenden. Diese Situtationen gab es schon immer und wir sind heute sicher immer noch um einiges besser dran als zu anderen Zeiten unserer Historie – bitte nicht vergessen bei all dem Unmut über die herrschenden Zustände. Diese Geschichte des jungen Hirten, erinnert mich sehr an die aktuellen Demo’s.

Denn wie heute, über 500 Erdenjahre später, war es einst auch verständlich, dass diese Ereignisse des ‘Predigers’ die damaligen Machthaber aufhorchen und handeln ließen. Der junge Hans Böhm wurde auf Anordnung des Bischofs im Juli 1476 ins Verlies geworfen. ‘Noch am Abend des gleichen Tages nach seiner Entführung, am Samstagabend, den 13.7.1476, hatten sich 16.000 Menschen, Männer, Frauen und Kinder, zu Fuß und unbewaffnet von Niklashausen auf den Weg nach Würzburg gemacht, um sich für die Befreiung des entführten prophetischen Künders einzusetzen. Es war ein gewaltiger Zug mit mehr als dreimal so viel Menschen wie die Einwohner Würzburgs. In Würzburg lebten damals 5000 Menschen unter der Knute der Kirchenherren. Am nächsten Morgen, am Sonntag, den 14.7., zur sonstigen kirchlichen Versammlungszeit, kamen sie dort an. Sie sangen Lieder, und viele hatten eine Kerze in der Hand.’

Im Mittelalter hatte man als ungehorsamer Untertan kaum Überlebenschancen. Und so ist es gekommen, dass er am 19. Juli sehr grausam auf dem Scheiterhaufen sterben musste, als Ketzer und Volksaufwiegler. Und auch wie heute versuchte man die Bevölkerung wieder in den (damals kirchlichen) Würgegriff zu bekommen und die Hinrichtung des prophetischen Künders im Nachhinein zu rechtfertigen. ‘So startete die Exzellenz Fürstbischof Rudolf II. von Scherenberg eine systematische Desinformations- und Rufmordkampagne gegen das Mordopfer, den im Nachhinein vor allem als “Narren” hingestellten Hans Böhm, mit dem Ziel, ihn der Lächerlichkeit preiszugeben und die riesige Bewegung aus dem Volk als von ihm verführt und aufständisch zu verleumden.’

Auch hier sehe ich Parallelen zur aktuellen Bewegung der “Querdenker” und wer weiß, warum ich heute an diesen kleinen Ort und zur Kirche geführt wurde, wo das Pfeiferhänsle von Niklashausen damals so viele Pilger angezogen hatte.

Und schon wieder habe ich etwas gelernt. Denn am Schottenanger in Würzburg (meinem aktuellen Wohnsitz), gibt es seit 2001 eine Sandsteinstele mit Relieftafeln, die an den Pfeiferhannes erinnert, der hier auf dem Scheiterhaufen verbrannt wurde. Bis gestern wusste ich das nicht, aber Morgen werde ich genau dort mal vorbei schauen. Und wer hätte gedacht, dass mich der Weg, 545 Jahre nach der Ermordung im Juli 1476, wieder zum Ausgangsort vom Pfeiferhänsle nach Niklashausen führt….und sich der Kreis dann in Würzburg wieder schließt. Vielen Dank für diesen heutigen Ausflug!

Die ganze Geschichte gibt es hier:

https://www.theologe.de/hans-boehm-pfeifer-von-niklashausen.htm und auch hier: http://www.niklashausen.de/pfeifer/

Titelbild privat: Würzburg, Marienberg Festung

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